Der Hochkönig der Lüfte: Climb&Fly am Matrashaus

Unsere Klettertour durch die Südwand des Hochkönigs krönen wir mit dem Abflug vom Gipfel: Hochspannung, bis die Schritte nach dem Klippenstart in der Thermik enden. Eine Climb&Fly-Audienz beim Hochkönig und dem Hüttenwirt Roman Kurz, der das Matrashaus beherrscht.

Anmerkung: Diese Geschichte erschien im Thermik-Magazin (Hike&Fly-Special,
Print, Oktober 2016)
Es war Anfang der 80er, da kreiste in den Gedanken von Roman Kurz immer wieder
ein Paragleiter. „Wir hatten damals alle gemeint, wir fangen mit dem Fliegen an,
dann müssen wir nicht mehr vom Berg hinunter gehen“, erzählt der 56-Jährige, der
heute gar nicht erst hinunter muss vom Gipfel. Er bewirtschaftet das Matrashaus,
das auf dem Hochkönig thront, seit mittlerweile 18 Jahren. „Im Bekanntenkreis
gab’s nach wenigen Jahren aber keinen einzigen mehr, den es mit dem Schirm nicht
zumindest einmal hinunter gehaut hat“, setzt er fort, also hat er es auch
gelassen. Was wir trinken möchten? Fragt er. Erst das Schnapserl oder erst das
Getränk? Beides bekommt hier auf dem Matrashaus jeder Kletterer als Belohnung
gratis. Ganz so viele klettern ohnehin nicht über die steile Südwand herauf, als
dass es den Wirt in den finanziellen Abgrund treiben würde. Starten wir bitte
mit einem Kaffee.

Sechs Stunden zuvor, um halb fünf Uhr früh: Wir setzen beim Parkplatz der
Stegmoosalm, etwas unterhalb des Dientner Sattels, den ersten verträumten
Schritt aus dem VW-Bus. Auf der Forststraße gehen wir uns warm und liebäugeln
nach einer halben Stunde bei der Stegmoosalm mit einer möglichen Landewiese.
Grundvoraussetzung: dass uns die Kühe später auch Platz machen. Die gemähte
Wiese wird abgespeichert im Kopf – und jetzt den Blick nach vorne richten: die
1000 Meter hohe Südwand lacht uns schon entgegen.
Mit dem Jubiläumsweg (auch Franzlweg genannt) wählen wir eine der längsten, aber
dafür leichteren Kletterrouten auf den Hochkönig.

Nach eineinhalb Stunden Fußmarsch kramen wir am Einstieg den Klettergurt aus dem
Rucksack unseres Wendegurtzeugs.

Das Klettern verläuft mit etwas alpinem Spürsinn und der Hilfe einiger roter
Farbmarkierungen wie am Schnürchen.

Die Kletterei im zweiten und dritten Schwierigkeitsrad, kurz und knackig auch
mal im vierten, genießen wir wie ein kühles Bier nach einer Tour – beides ist im
Fluss.
Grinsekatzer und Fels-Genießerin

In der Schlüssel-Seillänge im oberen Wandteil packen wir für die Fünfer-Stelle
das Seil aus.
Fliegen wollen wir schließlich erst später…

Nach vier Stunden genussvollen Kletterns stehen wir auf dem Westgipfel. Eine
Viertelstunde trennt uns noch vom Höhepunkt der Berchtesgadener Alpen. Beim
Blick hinüber macht sich in der Bauchgegend erstmals ein kribbelndes Gefühl
breit. Ein kleines Schneefeld zieht von der Eingangstüre des Matrashauses
anfangs noch flach und immer steiler werdend zur Südwand hinunter.
Blick vom Westgipfel zum Matrashaus.
Nach einigen Metern geht es in steile Felsen über, bis es senkrecht im Nichts
endet…

Das ist also unser Startplatz…

Als wir vor dem Matrashaus unsere Turnsack-großen ultraleichten Flugobjekte von
AirDesign aus dem Rucksack packen, unsere UFOs, überlegt der Hüttenwirt Kurz, ob
er das Paragleiten doch noch einmal in seine Gedankenwelt aufnimmt. Punkto
Sicherheit hat sich mittlerweile sehr viel getan. Und wie klein die Dinger doch
sind! 1,6 Kilogramm wiegen unsere Singleskins und eröffnen damit unglaublich
viele neue Möglichkeiten in der alpinen Welt. Dazu ein leichter Retter und ein
Wendegurtzeug – ergeben vier zusätzliche Kilo im Aufstieg für einen schwerelosen
Abstieg. Ein guter Deal.

Roman Kurz mit seiner Gattin

Ob wir auch Windfahnen wollen? Fragt Kurz und kommt mit drei Eisenstangen und
jeweils angebundenen Bändchen zurück. Perfekter Service auf 2941 Metern über dem
Meer. Dann kraxelt der hilfsbereite Wirt sogar noch auf das Dach und montiert
einen großen Windsack, den er üblicherweise für den Hubschrauber anbringt, wenn
dieser im Landeanflug mit den nötigsten Lebensmitteln ist. Doch um Himmels
Willen…
Warum dreht der Sack auf Nord? Das ist leider die falsche Richtung…
Der König verliert den Gletscher

„Das mit den Paragleitern hier oben hat vor fünf, sechs Jahren begonnen“,
erzählt Kurz. An den Südwänden des Hochkönigs herrscht schon seit jeher reger
Flugverkehr. Streckenpiloten drehen hier auf dem Weg nach Bischofshofen immer
wieder gerne bis zur Basis auf. Als sich die ersten Paragleiter auf dem
Hochkönig versuchten, da seien auch tödliche Unfälle passiert, erzählt der Wirt.
Das dürfte auch mit dem Gletscher zusammenhängen, der auf der Nordseite bis auf
das kleine Gipfelplateau reichte. Ein teuflisches Kaltluft-Thermik- Gemisch
braute sich über dem Gipfel zusammen. „Da gab’s meistens eine größere, wilde
Walze.“ Im heißen Sommer 2003 ging der Gletscher dramatisch zurück. Um heute
Überbleibsel des nicht mehr ewigen Eises zu erwischen, muss man weit hinter das
Gipfelplateau absteigen. Bald wird aber auch der letzte Gletscherrest vergangen
sein.

Albert Precht eröffnete das Kletterbuch am Matrashaus
Ein paar Mal im Jahr kommen neuerdings Paragleitpiloten über den
Königsjodler-Klettersteig zum Gipfel, weiß Kurz. Gängiger ist der fünfstündige
Normalweg vom Arthurhaus. Wir seien die Ersten, soweit er mitbekommen hat, die
über die Südwand kletterten und dann fliegen, sagt er. Noch sitzen wir aber in
seiner Hütte. „Jetzt ein Schnapserl?“, fragt der Wirt. Ja, bitte. Dem Magen wird
etwas Beruhigung gut tun. „Früher haben die Leute ihre Schirme häufiger wieder
eingepackt. Mir kommt vor, dass sie heutzutage öfters starten können. Und
gleichzeitig sehr vernünftig sind“, sagt Kurz.

Wieder vor der Hüttentüre, es ist kurz nach Mittag: Die Thermik kommt in Fahrt.
Zwei Paragleiter kreisen über dem Hochkönig. Dort oben sehen sie noch mehr als
die 200 Dreitausender, die wir alleine hier theoretisch zählen könnten – wären
unsere Augen nicht auf die Zeiger des Windes gerichtet. Der Windsack hatte
zuletzt im Osten zu tun und ist gerade arbeitslos. Nützen wir diese Ruhephase.
Wir legen den Schirm aus. Leichtes Lüfterl.

Die Gunst der Stunde…

Let’s go! Das UFO steigt spielerisch über meinen Kopf, die Beine laufen, vier
Schritte, und ich hebe ab.

Ich lasse mich wegtreiben von den steilen Felsen. Blicke zurück auf unsere
Klettertour, kreise und kreische fast vor Glück. Die Tränen der Freude trocknen
schnell in der thermischen Luft. Ehe ich mich versehe, hat mein Flug- und
Kletterpartner den Gipfel überhöht, ist so hoch wie die Dreitausender-Gipfel in
der Ferne. Was für ein Hochgefühl!
Wir könnten nun an den Südabbrüchen entlang zur riesigen Wiese beim Arthurhaus
fliegen, doch das ist uns zu weit weg vom kühlen Bier im Bus nach dieser heißen
Tour. Hinauf zum Dientner Sattel? Oder doch zur Stegmoosalm? Die Kühe haben
Platz gemacht. Eine gemähte Wiese ist die Landung trotzdem nicht. Bei
schwierigen Wind-Verhältnissen landen wir, fallen uns überglücklich in die Arme,
blicken 1500 Höhenmeter hinauf zum Hochkönig und verneigen uns. Danke für diese
Audienz!
Von der Lande- in die Chill-out-Zone

Einen Augenblick bitte…